«Wilde Katze» oder Wildkatze?

Diese Frage stellte sich im vergangenen Spätsommer mehrfach im Berner Seeland,

... als in zwei Tierarztpraxen und einem Tierheim gleich drei Mal eine «Handvoll unzähmbare Findelkatze» eingeliefert wurde. Nun konnten das Trio nach erfolgreicher Aufzucht durch das Team der Stiftung Wildstation Landshut wieder in ihre Heimatregion zurückkehren.

Die scheinbar mutterlosen Kätzchen waren wohl von Passanten geborgen, dann in zwei Praxen und in einem Tierheim abgegeben worden. Dort wurde man stutzig: das Verhalten der Tiere war gar nicht typisch für Katzenwelpen! Die hinzugezogenen Wildhüter hatten denn auch den richtigen Riecher und brachten die Jungtiere in die Wildstation nach Utzenstorf.

Die Erstuntersuchung der offenbar erst spät geborenen und somit noch recht kleinen

Katzen konnte nur in Narkose erfolgen. Wieviel Kraft in einem nur wenige hundert Gramm schweren Tier stecken kann, das sich bedroht fühlt, ist unglaublich. Glücklicherweise ergaben die Untersuchungen, dass die Tiere, drei Weibchen übrigens, unverletzt waren. Sämtliche Blutuntersuchungen wurden eingeleitet, parasitologische Untersuchungen durchgeführt, und später wurde auch noch geimpft. Nach einer Quarantänezeit durften die drei dann auch in eine grosse Aussenvoliere um- und vor allem: zusammenziehen. Denn es war schnell klar: der Aufenthalt der Tiere würde länger dauern. Bis diese drei Katzen gross genug für eine Auswilderung würden, war noch viel an Gewicht und Grösse zuzulegen.

Aber noch war unklar, ob es dazu überhaupt kommen würde – denn die eigentliche Frage lautete: «wilde Katze» oder Wildkatze?

In Zusammenarbeit mit Experten der Stiftung KORA (Raubtierökologie und Wildtiermanagement), dem Institut für Wildtiergesundheit der Universität Bern, dem Veterinärmedizinischen Labor der Universität Zürich und Wildtier Schweiz konnten dann die weiterführenden Untersuchungen sowie jene der Haarproben eingeleitet werden. Die genetische Analyse durch das Senckenberg Institut, Zentrum für Wildtiergenetik, ergab: ja, es handelt sich zweifelsfrei um Wildkatzen, und zwar zu einhundert Prozent.

Erstmals seit Bestehen der Stiftung Wildstation Landshut wurden hier nun also Wildkatzen aufgezogen – warum gerade im Jahr 2021 so viele verwaiste Jungkatzen gefunden worden waren? Vielleicht hat die Tatsache, dass die Wildkatze «Tier des Jahres 2020» war, dazu beigetragen? Das wachsende Bewusstsein der Menschen, dass es Wildkatzen bei uns gibt und dass sich diese Tierart zunehmend auch ins Mittelland ausbreitet sowie verschiedene Projekte rund um die Wildkatze haben wahrscheinlich ebenso dazu beigetragen, dass diesen Tieren Aufmerksamkeit zuteilwurde.

Die Spezies Wildkatze, Felis silvestris, ist die eigentlich einheimische Bewohnerin unserer Landschaft, sie bevorzugt deckungsreiche Gebiete wie Laubmischwälder und Auenwälder, kommt jedoch auch im gut strukturierten Offenland vor. Die scheue Wildkatze ist nicht die Wildform unserer Hauskatzen Felis catus. Letztere stammen von der Falbkatze ab und wurden ursprünglich aus Afrika eingeführt und domestiziert.

Wildkatzen und Hauskatzen können untereinander fruchtbare Nachkommen hervorbringen. Dies kann eine Gefahr für die Wildkatze darstellen, besonders in Regionen mit sehr vielen Hauskatzen. Besonders Freigänger-Katzen sollten daher vor allem in Wildkatzengebieten immer sterilisiert/kastriert sein.

Wildkatzen leben solitär und standorttreu in Revieren von variierender Grösse, die von Ressourcen wie Nahrungsangebot, dem Vorhandensein von Ruheplätzen, aber auch von der Jahreszeit abhängt. Weibliche Wildkatzen haben im Allgemeinen ein deutlich kleineres Streifgebiet als männliche Wildkatzen. Im Durchschnitt wurden Werte von 2–5 km² für weibliche Wildkatzen und bis zu 12 km² für männliche Wildkatzen berechnet. Inzwischen hat sich gezeigt, dass sie durchaus teilweise überlappende Streifgebiete haben und ein gewisser Austausch unter benachbarten Tieren vermutlich ganzjährig stattfindet. Ihr kompakter Körperbau und ihre spezifische Fellfarbe sowie ihr sehr buschiger Schwanz sind bezeichnend – eigentlich bekommt man sie aber nicht zu Gesicht.

Die Wildkatze ist in der Schweiz geschützt. Einige Zeit galt sie als ausgestorben, aber seit den 1980er Jahren erholen sich die Bestände langsam wieder. Dichte und Verbreitung nahmen zwischen 2010 und 2020 in der Schweiz zu, wie das Projekt "Wildkatzenmonitoring Schweiz" von Wildtier Schweiz zeigte. Der Bestand an Wildkatzen wird aktuell auf etwa 1100 Tier geschätzt. Wildkatzen kommen derzeit hauptsächlich im Jura vor, breiten sich aber mehr und mehr Richtung Mittelland aus, wie auch der Fund der jungen Wildkatzen im Seeland noch einmal beweist. Die Stiftung KORA verfolgt in ihrem Wildkatzenprojekt «Die Erhaltung der Wildkatze in der Schweiz und in Europa» die Ausbreitung der Wildkatze ins Mittelland. Im Rahmen dieses Projekts konnte auch die Sendermarkierung von zwei Findelkatzen erfolgen. Durch die GPS-Halsbandsender können die Bewegungen der Katzen und somit auch der Erfolg der Auswilderung verfolgt werden.

Im Frühjahr beginnt die Jungtiersaison – auch bei den Wildkatzen: aber Achtung! Nicht jedes Tier ist verwaist oder in Not – oft kann eine Fehleinschätzung der Situation fatale Folgen haben. Bevor man also ein vermeintlich verlassenes Wildtier behändigt, sollte man den Wildhüter zu Rate ziehen. Dieser kann die Situation einschätzen und im Sinne des Tieres die notwendigen Schritte einleiten.

Auf keinen Fall sollte man eine junge Katze aus der Natur einfach mit nach Hause nehmen.

Über 4’000 Futtermäuse und 8 Monate später war es nun soweit: die Rückführung unserer drei Pfleglinge in den natürlichen Lebensraum stand an und die mittlerweile nahezu ausgewachsenen Katzen wurden – gemeinsam mit dem zuständigen Wildhüter - in die Natur entlassen.

Hoffen wir, dass sich die «drei Damen» gut einleben und sich in ihren neuen Revieren behaupten können!

 

Im vergangenen Jahr erhielten in der Stiftung Wildstation über 3’000 in Not geratene, einheimische Wildtiere professionelle Hilfe. Die Betreuung der verschiedensten Tiere ist eine enorme Herausforderung, sowohl fachlich aber auch finanziell. Jede Tierart hat ihre eigenen Bedürfnisse, benötigt anderes Futter, eine spezielle Unterkunft sowie eine auf die Art und das Individuum abgestimmte (medizinische) Behandlung. Als rein spendenfinanzierte Organisation, die nicht von öffentlicher Stelle finanziert wird, ist es – auch bedingt durch die Corona-Pandemie - extrem schwierig geworden, die nötigen Gelder für die Versorgung unserer Wildtierpatienten und für die Gehälter unserer Wildtierpfleger einzuwerben.

Wir sind auf Ihre Unterstützung angewiesen: wenn Sie uns eine Spende zukommen lassen möchten, ist dies via PC-Konto 60-564624-5 möglich.

Herzlichen Dank!

 

 

© Text: Dr. Ulrike Eulenberger (SWL), Dr. Lea Maronde (KORA)

© Fotos: Stiftung Wildstation Landshut, Reto Hässig (Wildhüter Kanton Bern)